11. Oktober 2021
Internationaler Mädchentag
Gastbeitrag des Frankfurter MädchenbüroMilena e.V.

Der 11. Oktober ist der Internationale Mädchentag. Er soll auf die weltweite Benachteiligung von Mädchen hinweisen. 2003 wurde der Vorschlag hierzu von einer deutschen Organisation entwickelt und schlussendlich 2011 von den Vereinten Nationen dieser Tag ins Leben gerufen. Er besitzt weltweite Geltung.

 

Mit unterschiedlichen Aktionen wird seither die Diskriminierung von Mädchen thematisiert und Forderungen für die gezielte Förderung von Mädchen unterstrichen: Bildung, Bekämpfung der Zwangsehe, Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen, konsequente Umsetzung von Anti-Diskriminierungsgesetzen, keine Toleranz für Gewalt gegen Mädchen und junge Frauen im Namen von Tradition oder Kultur.

Auch in diesem Jahr findet ein Mädchenaktionstag in Frankfurt am Main statt. Mädchenvereine, -gruppen und mit Mädchenbelangen befasste Institutionen veranstalten Workshops, treffen sich auf öffentlichen Plätzen und setzen sich lautstark für die Rechte von Mädchen ein.

 

Mädchen und junge Frauen für ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und gleiche Bildungschancen zu sensibilisieren und zu dessen Einforderung zu befähigen, dies ist seit jeher eine wichtige Säule unserer Pädagogischen Arbeit im MädchenbüroMilena e.V. in Frankfurt-Bockenheim.

 

38 Mädchen mit 17 unterschiedlichen nationalen Wurzeln können täglich davon berichten, wie sie im Frankfurter Alltag tatsächlich behandelt werden.

Ihr Leben – sowohl im Privaten als auch in der Schule – ist weniger geprägt von der Vermittlung einer Gleichheit als vielmehr dem Empfinden einer Andersartigkeit im alltäglichen Erleben. Bei technischen, wirtschaftlichen oder naturwissenschaftlichen Fragen im Unterricht werden sie übergangen.

 

Es ist nach wie vor ein Vorurteil, dass Mädchen in diesen Bereichen keinerlei Interesse besäßen. Tatsächlich ist die Zahl derjenigen Mädchen sehr gering, die am sogenannten girls day am 22. April eines jeden Jahres die Chance ergreifen, in besonderen Berufsfeldern wie technischen Berufen zu hospitieren.

 

Aber auch im Privaten werden die Mädchen und jungen Frauen nur wenig motiviert oder ihnen Kenntnisse vermittelt, um andere Berufe erlernen zu können als Erzieher*innen oder Friseur*innen etc. Oftmals herrschen hier tradierte und konservative Wertvorstellungen vor.

Eine unserer Hilfen im MädchenbüroMilena setzt deshalb am Übergang von Schule zu Beruf an. Unsere Unterstützung beim Erstellen von klassischen Bewerbungsunterlagen geht einher mit der Frage: wo möchtest Du Dein Praktikum machen? Seit Jahren versuchen wir Mädchen dahingehend zu motivieren, dass sie andere Bereiche der Arbeitswelt kennen lernen. Aber die meisten Entscheidungen werden weiterhin für traditionelle Berufe gefällt.

 

Diejenigen, die neugierig sind, die sich trauen und mutig sind, sogenannte Männerberufe kennen zu lernen, sind konfrontiert mit anspruchsvollen Voraussetzungen. Diese können sie aufgrund ihrer Herkunft und familiären Bedingungen jedoch nur schwerlich erfüllen. Tatsächlich sind die Zugangsvoraussetzungen für Mädchen und junge Frauen mit einer sichtbar und hörbar anderen Herkunft als die der Mehrheitsgesellschaft sehr ungleich, wie bereits in Studien und Medien hervorgehoben wird.

 

Wir hören oft aus der Mädchengruppe, dass Eltern der Meinung sind, dass man sich als Mädchen stärker anstrengen soll. In der Schule und in Arbeitgebergesprächen wird ihnen das Gefühl gegeben, dass sie als Mädchen und junge Frau mit Migrationshintergrund doppelt so gut sein müssen, wie Mädchen und junge Frauen aus der Mehrheitsgesellschaft. Unabhängig davon, dass diese Meinung gesamtgesellschaftlich weit verbreitet ist, führt es bei diesen Mädchen zu einer Abwertung ihrer eigenen Persönlichkeit und mindert ihr Selbstwertgefühl.

Mit dem Eintreten der Corona-Pandemie wurden wir, wie so viele andere Vereine und Institutionen auch, vor große Herausforderungen gestellt. Dies lag mindestens auch daran, dass wir weiterhin an unserem Ziel festhielten, den hohen schulischen Unterstützungsbedarf sowie die Unterstützung bei der Ausbildungs- und Studienplatzsuche aufrechterhalten zu wollen. Auch die Projektarbeit zum Thema politische Teilhabe und Bildung sollte umgesetzt werden.

 

Entsprechend haben wir die Mädchen mit Beginn der Pandemie mit Computern und Laptops ausgestattet, um digital mit ihnen zu kommunizieren. Ebenso haben wir sie mit Smartphones ausgestattet, so dass die technische Hardware vorhanden war. Das Problem der nicht vorhandenen oder langsamen Internetverbindung konnten wir leider nicht lösen. Wir zeigten jedoch Möglichkeiten auf, wie und wo es funktionsfähige öffentliche Internetzugänge gibt.

Auch wenn wir die Mädchen technisch ausgestattet haben, die persönliche Ansprache in der Präsenz konnte das nicht ersetzen. Dies war auch mit den „Beratungsspaziergängen“ nicht aufzufangen, zu denen wir uns mit vielen Mädchen und jungen Frauen verabredeten. Die Pandemie förderte eine Verstetigung und offene Sichtbarkeit von Umständen und Problemen, die unterschwellig immer vorhanden waren. Sie sensibilisierte uns aber auch für eine kritische Hinterfragung unserer Arbeitsweisen und Methoden. Schlicht gesprochen war es die Corona-Pandemie, die uns zeigte, was wichtig ist, was wir in unserer täglichen Arbeit mit den Mädchen und jungen Frauen nicht brauchen und worüber wir noch mal nachdenken sollten.

 

Viele Mädchen verstummten und wurden nicht mehr sichtbar in der Pandemie. Sie wurden zunehmend in den Haushalt und der Betreuung der jüngeren Geschwister involviert. Beim digitalen Unterricht konnten sie vielfach nicht mithalten, denn sie hatten mangelhafte technische Ausstattungen oder verstanden die Vorgehensweise und die Unterrichtsinhalte nicht. Viele Mädchen haben uns über die vielfältige und höchst unterschiedliche Handhabe des digitalen Unterrichts sowie der digitalen Ausstattung der Schulen berichtet. Einige Schülerinnen wurden technisch von den Schulen ausgestattet, andere wiederum nicht. Fast alle wurden mit ihren Fragen komplett alleine gelassen.

Wie können wir diese Situation auffangen und wie können wir die Folgen der Pandemie bewältigen? Diese Fragen treiben uns um, denn wir haben gesehen, wie schnell die Mädchen aus dem öffentlichen Raum verschwunden sind und wie schnell sie wieder in alte Verhaltensmuster gedrängt wurden. Außerschulische Einrichtungen, wie die Unsrige, sind für viele Mädchen ein geschützter Ort, an dem sie nicht nur Bildungshilfe erhalten, sondern wo sie auch sich und ihre Persönlichkeit entfalten können. Der Austausch mit Gleichaltrigen, die Möglichkeit, Fragen zu stellen und ein offenes Ohr zu finden, das ist für sie wichtig. Bei MädchenbüroMilena e.V. können sie für Klausuren lernen und haben einen genderhomogenen Ort, an dem wichtige Interaktionen zur Persönlichkeitsstärkung stattfinden.

 

Ein selbstbestimmtes Leben und gleiche Bildungschancen für Mädchen zu fördern, ist also noch wichtiger geworden. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell bereits Errungenes verschwinden kann. Die Forderungen am Internationalen Mädchentag 2021 haben somit an  Bedeutung gewonnen, nicht verloren. Denn es zeigt sich eine instabile, fragile Situation, in der sich Mädchen befinden – und zwar weltweit. Durch Kriege und Flucht, durch Umweltzerstörung und traditionelle Rollenzuweisungen sind Mädchen nach wie vor weltweit benachteiligt.

Blicken wir auf Frankfurt zurück, finden wir auch hier nach wie vor einen großen Bedarf die Sichtbarkeit von Mädchen und jungen Frauen zu stärken. Sie müssen ihre Bedürfnisse artikulieren, ihre Meinung äußern, für ihre Rechte kämpfen und sich ihren Schwächen selbstbewusst stellen.

 

Dies sind für uns weiterhin wichtige Ziele unserer Arbeit im MädchenbüroMilena. Wir möchten, dass Mädchen in einer Welt aufwachsen, in der die Gleichstellung von Mädchen keine Aufzählung von Zielen bedeutet, sondern dass sie gelebt wird und somit zur Normalität wird – in Frankfurt, in Deutschland und weltweit.

 

Ein Gastbeitrag von Maneesorn Koldehofe, MädchenbüroMilena e.V.

Das MädchenbüroMilena wird von Beginn an von der Linsenhoff-Stiftung finanziell unterstützt. Es ist für mich ein ganz besonderes Projekt, dem ich persönlich sehr verbunden bin. Ein großer Dank gilt dem hochengagierten Team!

 

Auch Sie können das MädchenbüroMilena unterstützen. Wir freuen uns über jede Zuwendung, die zu 100 % direkt in das Projekt einfließt.

 

Herzlichst